13.3 Bionische Strategie
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man herausgefunden, dass ein Stamm aus einem unveränderlichen Kern und einer sich an-
passenden Randzone (Kambium) besteht. Über die Randzone wird das Wachstum adaptiv
gesteuert, und zwar in dem an überlasteten Bereichen ein Materialauftrag und an unterbe-
lasteten Bereichen ein Materialabtrag vorgenommen wird. Dieses Wachstumsprinzip muss
jetzt durch einen rechnerunterstützten Algorithmus nachgebildet werden, der die Konturan-
passung initiiert.
Bei der Programmrealisierung KONTOPT
*)
wird das Baumwachstum durch eine analoge
Temperaturdehnungsstrategie nachgebildet. Normalerweise ist dafür keine explizit formu-
lierte Zielfunktion nötig, weil sich Wachstum gezielt durch Wärmedehnung nachbilden lässt.
Diese einfache Aussage bedarf aber dennoch eines komplizierten Ablaufs, der jedoch leicht
zu durchschauen ist. Die wesentlichen Schritte des CAO-Prinzips können wie folgt zu-
sammengefasst werden:
Ausgangssituation ist stets ein mehr oder weniger günstiger Grundentwurf eines Bauteils,
der gewöhnlich aus Erfahrung entsteht. Das Netz sollte dabei so gelegt werden, dass etwa
zwei bis drei dünne Elementreihen äquidistant zur äußeren Bauteilberandung verlaufen.
Diese Elemente repräsentieren im Weiteren das Kambium.
Mit dem so aufbereiteten Modell wird dann eine erste FE-Analyse durchgeführt und die
Vergleichsspannungen nach v. Mises berechnet. Damit sind alle Zonen hoher und niedri-
ger Beanspruchung bekannt.
Nunmehr wird bezüglich einer als zulässig angesehenen Referenzspannung eine Span-
nungsdifferenz über das Bauteil gebildet und diese proportional einem Temperaturfeld
gesetzt. Unabhängig davon, dass dies gegen physikalische Regeln verstößt, ist dies ein
pragmatischer Ansatz.
Dieses Temperaturfeld wird dann durch Multiplikation mit dem Wärmeausdehnungskoef-
fizienten in eine Vergleichsdehnung umgewandelt, und zwar so, dass sich nur die Rand-
schicht ausdehnt. Dies bedingt, dass der Wärmeausdehnungskoeffizient des Kerns zu null
und der E-Modul des Randes
2
KernRand
N/mm400/EE | herabgesetzt wird. Durch die
somit gummiweiche Oberflächenschicht kann sich die Kontur anpassen, ohne dass
Zwangsspannungen im Kern hervorgerufen werden.
Damit im Weiteren eine verträgliche Netzänderung eintritt, muss der Dehnungszustand
skaliert werden, womit ein gleichmäßiges Wachstum hervorgerufen werden kann.
Dieser Vorgang wird durch eine erste Iteration ausgelöst, in dem der bestimmte Deh-
nungszustand als vorgeschriebene Dehnungen des Problems behandelt wird und hiermit
eine neue FE-Analyse erfolgt. Konsequenz ist, dass das Netz zufolge hoher Dehnungen
auswächst und zufolge niedriger Dehnungen wegschrumpft.
Im Allgemeinen bedarf eine Konturanpassung mehreren Iterationen, um alle Spannungs-
spitzen abzubauen.
*)
Anmerkung: KONTOPT (Kontur-Optimierung) ist eine Eigenentwicklung des Fachgebietes Leichtbau-Kon-
struktion an der Universität Kassel.