"Ich möchte - ich bin Micki Mager."
"Wer?"
"Micki Mager, der Neffe von Herrn Michael Mager, der Sohn von meinem Vater - ich meine von ..."
"Von Onkel Gregor?"
"Genau."
"Oh!" Ihre grauen Augen glänzten auf, sie lächelte mich an. Ich streckte ihr die Hand entgegen. "Du bist
meine Cousine Dörty?"
"Ja." Sie zog mich in den Korridor und fragte: "Kommst du aus Düsseldorf vom Vater?"
"Nein. Aus Ostberlin."
"Der Junge ist bei meiner Schwester Betty aufgewachsen, gnädiges Fräulein." Tante Trixi erzählte Dörti die
Geschichte meiner Auffindung mit Sonnenstrahl und erstem Lächeln, doch Dörti unterbrach sie geschickt. Sie
führte uns in ein Zimmer und holte ihre Mutter.
So kam es, dass ich mittags mit Dörti im Flugzeug nach Düsseldorf saß. Vor Freude und Lebenslust drückte
ich Dörtis Hand. Wir saßen auf den beiden letzten Plätzen hinten im Schwanz. Dörti legte den Arm um meine
Schultern, wir schauten Kopf an Kopf zum Fenster hinaus. Einmal sagte sie: "Ich bin froh, dass wir uns
gefunden haben."
Dann vertiefte sie sich in eine Illustrierte, denn das Fliegen war für sie nichts Außergewöhnliches. Ich wollte
mir keine Einzelheit entgehen lassen und probierte die Hebel, mit denen man die Sitze verstellen kann, die
Knöpfe und die Drücker, die aus der Rückenlehne des Vordersitzes ein Tablett herausklappen lassen.
Fabelhaft eingerichtet so ein Flugzeug! Am Flughafen in Düsseldorf erwartete uns mein Vater. Er stand in
der Halle neben einer Glasvitrine. Ein vornehmer Herr, schlank, energisches Gesicht, frisch gebräunt, dunkles
Haar mit silbergrauen Schläfen, dickrangige Hornbrille. Dörti schüttelte ihm die Hand, führte ihn zu mir und
stellte vor: "Das ist dein Vater, Micki."
"Sehr angenehm." Ich verbeugte mich und wurde rot im Gesicht.
Er streckte mir die Hände entgegen. "Willkommen in Düsseldorf, Michael. Ich freue mich sehr, dass du da
bist."
"Danke". Ich errötete noch mehr. Seine dunkle, wohlklingende Stimme und die forschenden hellen Augen
hinter der Hornbrille brachten mich völlig durcheinander. So ein Mensch war mir noch nie begegnet. Ich war
neugierig, auch schon ein bisschen stolz auf ihn.
Er musterte uns beide und sagte: "Wisst ihr, Kinder, dass ihr euch sehr ähnlich seht?" Er hielt uns an den
Schultern fest und verglich unsere Lockenperücken, unsere kessen Nasen und die hellgrauen Augen.
"Unsere Ähnlichkeiten sind nicht nur äußerlich, Onkel Greg," so nannte ihn Dörti. "Wir haben die gleiche
Leidenschaft: Malen. Micki will Maler werden."
"Tatsächlich?" Mein Vater schien sich über mein Talent zu freuen. "Eure Ähnlichkeit verdankt ihr meiner
Mutter, eurer Großmutter. Sie war eine begabte Operettensängerin, schön, charmant, eine Frau von Welt. Nun
ist sie wiederauferstanden: zuerst in Dörti, jetzt in dir."
***
Dörti war weg. Sie schwebte schon in der Luft Richtung Westberlin. Ich hockte allein auf der Couch. Zum
ersten Mal wurde mir bewusst, dass zwischen Tante Bettys Wohnung und dem Haus meines Vaters nicht nur
Hunderte von Kilometern lagen, sondern dass dazwischen eine Grenze verlief. Ich befand mich in einem
anderen Land, in dem andere Gesetze galten, anderes Geld zählte und eine andere Regierung herrschte.
Arthur, der ehemalige Kriegskamerad des Vaters und jetzt sein Chauffeur, kam herein und sagte mir: "Sei
nicht so traurig, Micki. Einen Vater wie den Doktor Mager wünsch ich allen Jungs. Ich bin schon über zwanzig
Jahre bei ihm. Wir sind alte Kameraden, und nun bist du der Dritte in unserem Bunde. Das wird 'ne feine
Männerwirtschaft – freust du dich?"
"Ja, Herr Arthur," antwortete ich mit voller Überzeugung. Ich freute mich wirklich. Durch das Wort
"Männerwirtschaft" war mir wieder bewusst geworden, wie satt ich die Tantenwirtschaft gehabt hatte. Die
große Entfernung zwischen Tante Betty und mir bedrückte mich nicht mehr, und der Schmerz über Dörtis
Abschied verflog. Ich sehnte mich nicht mehr nach meinem alten Leben zurück. Berlin lag fern wie auf einem
anderen Stern. Außerdem hatte ich keine Lust, wieder ein Junge ohne Vater zu sein und mich von drei Tanten
bemuttern zu lassen.
***