Kreuzberg, wo es sonst nicht viel fiir Jugendliche gibt: verkehrsreiche StraBen,
schlecht ausgcstattete Wohnungen, wenig Freiflachen, Spielplatze, Treffpunkte.
Mustafa setzt sich neben mich und beginnt damit, die einzelnen ZahnrMer von
einem Hinterrad abzumontieren. Er nimmt eine Metallbiirste, schrubbt ieise tiber
die Zahnrader und erzШllt. «WeiBt du, es ist besser, hierher in die Werkstatt zu
kommen, als den ganzen Tag auf der StraBe rumzuhangen und nur ScheiBe zu
bauen Oder so.»
Als Kind hat Mustafa schon einmal in Deutschland gelebt, doch weil sein Vater
fiir die tiirkische Regierung arbeitet, musste seine Familie fui* zwei Jahre zurlick
in die Turkei. Dort war die Schule voUkommen anders. Als er sich gerade daran
gewohnt hatte, zogen sie wieder nach Deutschland. Er ist jetzt in der neunten
Klasse einer Gesamtschule und strengt sich sehr an, um gut genug fiirs
Gymnasium zu werden. Englisch und Mathe mag er nicht, trotzdem lernt er
dafiir. Denn wenn er in Deutschland keine gute Ausbildung findet, wird er
wieder zurtickgeschickt. Sagt zumindest sein Vater. «Und weil meine Mutter
sagt, ich soil so viel lernen, wie ich kann, gehe ich oft hierher. Weil man hier
was lernt.»
Der Werkstattladen «Velofit statt Veloklau» ist ein Projekt, das sich
ausschlieBlich durch Spenden finanziert. Kinder und Jugendliche konnen hier
ftir ein Taschengeld kaputte FahrrMer reparieren, die dann verliehen oder
verkauft werden. Oft kommen auch einfach Menschen aus der naheren
Umgebung vorbei, um
diQ
Acht aus dem neuen Rennrad verschwinden oder die
verrostete Klingel wieder ertOnen zu lassen. Die Verantwortlichen der
Werkstatt, Heiko und Bettina, handeln dann einen Zeitpunkt und Preise aus, die
unter denen normaler Fahrradladen liegen: Meistens brauchen die Kids fast
viermal solange wie ein Profi. Und selbst die altesten Fahrrader, die von einem
Fachgeschaft nur zu unvertraglichen Preisen repariert werden konnen, nelimen
die Jugendlichen gem an.
Heiko und Bettina wollen mit ihrem Projekt den umliegenden Fahrradladen
keine Konkurrenz bieten, denn bei «Velofit statt Veloklau» geht es darum, den
etwa 15 Kindern und Jugendhchen eine gute Alternative zum alltaghchen
Femsehen oder Nichtstun zu bieten.
Heiko, ihr lustiger Kumpel aus der Werkstatt, wird trotz seines wirren
Aussehens von den ttirkischen Jungs nicht nur fahrradtechnisch respektiert; sie
mogen ihn, weil sie von ihm emst genommen werden. Er betreut die
Jugendlichen nun schon seit anderthalb Jahren fast ganz allein. Das zum
Fahrradreparieren notige Wissen hat er sich neben seinem Grundschullehrer-
Studium selbst beigebracht. AuBerhalb der Offnungszeiten geht er zur Freude
der Jungs auch mal mit ihnen Schwimmen, Kegeln oder Billard spielen, was
ihnen aber zu selten vorkommt.
A39.
Wo trifft sich der Autor der Artikel mit Mustafa und Fatih?
1) Auf der Strasse 2) Auf dem Spielplatz
3) In einer Wohnung 4) In einer Werkstatt
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